Einmal im Kreis und wieder zurück [2005]

Einmal im Kreis und wieder zurück: Von den großen Bühnen der Welt und den kleinen Sensationen in Leipzig


Aus alt wird neu: Musik von heute = Musik von gestern (+ eine Ladung Pep)? Inwieweit stimmt diese Gleichung? Erleben wir fortan nur noch musikalische Renaissancen? Und wie sieht es in unserer Stadt aus?

Ich sitze vor dem Computer in meinem Zimmer, im Hintergrund läuft eine U2-Platte aus dem Jahre 1983, und ich überlege mir, was sich die Herren Bono Vox & Co damals gedacht haben könnten, wenn man sie nach der zukünftigen Entwicklung von Musik und Musikindustrie gefragt hätte. Das Motiv, mit „Musik die Welt verändern zu können“ scheint wahrlich in den Hintergrund gerückt zu sein. Stattdessen redet man öfter denn je über Plattenfirmenfusionen, Vermarktungsstrategien, Labelpolitik oder Managementeinrichtungen. Kürzlich erfuhr ich davon, dass es in Deutschland sogar schon möglich ist, Musikmanagement zu studieren. Das Geschäft mit der Musik ist fester Bestandteil der Industrie geworden und berechtigterweise nicht mehr vom Markt wegzudenken. Natürlich darf man auch nicht vergessen, dass die Veränderungen der gesellschaftlichen sowie politischen Umstände ihren Teil hinsichtlich dieser Entwicklung beigetragen haben. So hat sich 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ein globales System entwickelt, das fast ausschließlich aus dem Wesen rationaler Entscheidungen und bis ins Kalkül durchdachten Leitlinien besteht. Aber bitte. Die Musik darf trotz all dem nicht vergessen werden.
Freitagabend: Ich stehe in der Publikumsmenge beim Konzert einer Leipziger Rockband. Mich lässt das Gefühl nicht los, dass ich – und dieses Gefühl hatte ich oft in letzter Zeit – einfach nichts Neues mehr zu hören bekomme. Aber so allein bin ich mit „diesem Gefühl“ anscheinend nicht. Zumindest stelle ich das immer wieder fest, wenn ich unauffällig den Gesprächen meiner benachbarten Zuhörer lausche: „Das klingt ja wie…“ ist schon eine berüchtigte Floskel geworden. Sind wir zu einfallslos geworden? Oder sind die musikalischen Möglichkeiten tatsächlich erschöpft?
Unterdessen legen DJs in den Clubs wieder die Musik der 80er auf. Für mich als Sympathisant dieses Kapitels Musikgeschichte ist das entgegenkommend, aber irgendwie macht es mich auch nachdenklich. Vielleicht entwickeln die Menschen Sehnsucht für das Frühere, insbesondere dann, wenn das Jetzige nicht mehr gefällt. Das 80er-Jahre-Revival ist dabei aber nur eine von vielen Strömungen, die heute wieder aufgenommen und „neu popularisiert“ werden. Davon profitieren können besonders die Aktivisten der Szene minimalistischer elektronischer Musik, aber auch die Indiebands von gestern. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Comebacks von The Cure oder Morrissey im vergangenen Jahr so gefeiert wurden.
Das Prinzip der Massenwirkung zählt. Das ist es wohl, was den Zeitgeist ausmacht. Ernüchternd lasse ich mir diese Erkenntnis noch einmal durch den Kopf gehen. Wenn das wirklich so ist, besteht das heutige Modebewusstsein nur noch aus Widerspiegelungen, die von den Befürwortern gestriger Musik ins Leben zurückgerufen werden. Heißt das, dass wir nur noch Renaissancen erleben? Ich hoffe nicht. Aber andererseits wurde ich schon lange nicht mehr vom Gegenteil überzeugt.
Wie sieht es in Leipzig aus? Werfen die großen Trends Schatten auf die Unbehelligtheit der Musik schaffenden Jugend von morgen? Abseits von den Schaubühnen der Musiklandschaft passiert auch hier Einiges. Allerdings – um in der metaphorischen Stilistik des Theaters zu bleiben – auf Bühnen, die – sowie deren Bretter – selbst erbaut werden mussten. Zu Zeiten der wirtschaftlichen Depression bekommt gerade der Osten des Landes Veränderungen zu spüren. Ein Glück, dass wir in Leipzig wohnen – der Stadt des Wandels und des Booms (so mag manch einer denken). Leider bleibt trotz Tendenz zum Sinnbild ‚Aufbau Ost’ der Bereich Kunst und Kultur in unserer Stadt weitestgehend auf der Strecke.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Das 2004 gegründete Leipziger Label ‚East German International’, abgekürzt ‚EGI’, ist eine von vielen kleinen Institutionen hierzulande, welche dafür eintritt, den musikalischen Geist junger und aufgeschlossener Menschen der Region nach außen zu tragen. Für Daniel Hengst, Mitinitiator von EGI, ist die Labelarbeit eine persönliche Herausforderung; den „Spaß an der Sache sollte man aber nie außer Acht lassen“. So passiert es nicht selten, dass die zehnköpfige EGI-Crew hier und da einen Konzertabend veranstaltet, um ihren Namen nach außen zu tragen und zusätzlich den Bands (darunter Dead Fish Audio, Brockdorff Klang Labor, Süßwasserpolypen) zu Gute kommt. Fördermittel bestehen keine. Das Geld, das durch Veranstaltungen und Verkaufsstände zusammenkommt, wird deshalb für die Gestaltung und den Ausbau des Labels genutzt. Dass man sich gegenseitig unterstützt, wird vorausgesetzt. Die Aufgabenbereiche sind komplex: Sie reichen von Musikproduktion bis hin zur anteilmäßigen finanziellen Bandunterstützung in Sachen Promotion. Bis jetzt ist EGI eine eingetragene Genossenschaft und sieht sich als Plattform für Musikschaffende aus dem Bereich Electropop und Indietronics. Wir werden die Augen offen halten!
Schon etwas spezieller sieht es beim „Rille Ralle Kosmos“ aus, der durch die Brüder Philipp und Stephan Seitz gelenkt wird. Sie verstehen sich hauptsächlich als Bookingagentur für Bands gitarrenlastiger Musik. Nach über drei Jahren ist mit Verbrannte Erde, d.h., Nothing In Common oder der Shutcombo nicht nur ein Bandforum, sondern auch eine wertvolle Community entstanden. „Der Anspruch dahinter“ ist seit langem das Motto im Vordergrund. Und das Konzept geht auf: Die Bands des Kosmos haben Termine für Livegigs und zusammenhängende Touren. Seit 2004 gibt es nun auch regelmäßig Rille Ralle Radio auf Radio Blau. Nicht nur die Produktionen der verbündeten Bands werden gespielt, sondern auch alles, was unter der Rubrik „Gegen den Zeitgeist“ steht. Doch ist dies so einfach?
Der Traum von der aufregenden Zeit, in der man hofft, die guten Ideale in der Musik mit Neugierde zu entdecken, scheint vorbei zu sein. Stattdessen stopfen Teenager ihre Handys mit Klingeltönen – einer neuartigeren Variante von Musik – voll, in der Überzeugung, darin das Richtige gefunden zu haben. Der Hersteller freut sich, doch der ideelle Anspruch dahinter rückt in weite Ferne. Denjenigen, für die dieser Anspruch immer noch geltend ist, bleibt nur noch die Flucht in die Nischen. Diese liegen fernab von den Vorhaben Marktlücken zu füllen oder nachfragegerecht Musik zu produzieren bzw. konsumieren. Sie wissen, dass sie zur Minderheit gehören. Und Minderheiten zu bedienen erweist sich heutzutage nicht nur als schwierig, sondern auch als unwirtschaftlich. Für diese Menschen sind die Entertainer von gestern immer noch die Entertainer von heute; der Glaube von damals immer noch gegenwärtig. Trotz all dem ist der Lifestyle der Kultur heute ein anderer. Schade, dass ich nicht früher auf die Welt gekommen bin.

[erschienen im Abschlussheft des Friedrich-List-Gymnasiums, Juni 2005]

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